Arbeitsrecht

Mitbestimmung des Betriebsrats beim Arbeitsschutz

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 I Nr. 7 BetrVG besteht nur im Falle von Gefährdungen, die entweder feststehen oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen sind. Fehlt eine solche Gefährdungsfeststellung, ist eine Einigungsstelle daran gehindert, ihren Regelungsauftrag wahrzunehmen.

Was ist passiert?

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer „Betriebsvereinbarung über akute Maßnahmen des Gesundheitsschutzes“ (BV). Die Arbeitgeberin ist ein Textilhandelsunternehmen. In einer ihrer Filialen ist ein Betriebsrat gebildet. Die Betriebsparteien haben eine Einigungsstelle zur „umfassenden Erledigung aller Themen des Gesundheitsschutzes“ errichtet, die im Wege eines Teilspruchs die streitgegenständliche BV erlassen hat. Diese enthält Regelungen zu diversen Themen (Einarbeitung, stehende Tätigkeiten, Maßnahmen in bestimmten Räumlichkeiten etc.), ohne dass zuvor damit verbundene Gefährdungen ermittelt worden sind. Die Arbeitgeberin wendet sich gegen die Wirksamkeit der BV. Sie vertritt die Auffassung, die Regelungen der BV seien nicht von der Zuständigkeit der Einigungsstelle gedeckt, da in ihrem Betrieb keine unmittelbaren Gesundheitsgefahren bestünden. Das ArbG hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen, das LAG hat der hiergegen gerichteten Beschwerde teilweise stattgegeben.

Wie hat das BAG entschieden?

Die Rechtsbeschwerde des BR hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG setzt keine konkrete Gesundheitsgefahr, wohl aber das Vorliegen konkreter Gefährdungen iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG voraus. Soweit der Senatsentscheidung vom 11. Dezember 2012 (- 1 ABR 81/11 – Rn. 20) Gegenteiliges zu entnehmen sein sollte (so Oberberg RdA 2015, 180, 184), wird hieran nicht festgehalten. Für die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten beeinflussen, ist eine Gefährdungsbeurteilung iSd. § 5 Abs. 1 ArbSchG unerlässlich. Angemessene und geeignete Schutzmaßnahmen lassen sich erst ergreifen – und des Weiteren auf ihre Wirksamkeit überprüfen – wenn das Gefährdungspotential von Arbeit für die Beschäftigten bekannt ist. Die Grundpflicht des § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG konturiert sich daher anhand einer konkreten Gefährdung. Rechtssystematisch besteht ein Zusammenhang mit der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG, der sich einerseits aus der Verwendung des dem Begriff der „Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ beigefügten Attributs „erforderliche“ in § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG ergibt, und andererseits aus § 5 Abs. 1 ArbSchG. Danach ist das Ziel der Gefährdungsbeurteilung die Ermittlung, „welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind“. Aus diesem Zusammenhang mit § 5 ArbSchG folgt der spezifische materiellrechtliche Gehalt des § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG.

Fazit

Die Entscheidung ist zwar für den beteiligten Betriebsrat zunächst einmal negativ ausgegangen, in der Begründung sind aber wichtige Hinweise und fast schon Handlungsanweisungen für die praktische Tätigkeit von Betriebsräten, Personalräten und Mitarbeitervertretern enthalten. Besonders erfreulich ist, dass das BAG seine missverständliche Rechtsprechung aus dem Jahre 2012 korrigiert und keine konkrete Gesundheitsgefahr mehr verlangt, sondern bloße Gefährdungen ausreichen lässt, um dem BR die Möglichkeit zu geben, sein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung der Arbeit mit auszuüben.

(BAG, Beschl. v. 28.03.2017 – 1 ABR 25/15)