Arbeitsrecht

Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei Anhörung zur Verdachtskündigung

  • Es entspricht zumindest regelmäßig der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers, bei einer Anhörung zu Verdachtsmomenten, die Anlass für eine Verdachtskündigung ergeben können, das Gespräch von sich aus oder auf Wunsch des Arbeitnehmers abzubrechen und eine erneute Anhörung unter Zuziehung eines Rechtsanwalts anzuberaumen, wenn der Arbeitnehmer grundsätzlich zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Verdachtsmomenten bereit ist. Zudem sind Fälle denkbar, in denen der Arbeitnehmer aus dem Gesichtspunkt der „Waffen“- und Chancengleichheit Anspruch darauf hat, dass auf seiner Seite eine betriebsfremde Person seines Vertrauens mitwirkt, wenn sein Arbeitgeber bei Personalgesprächen einen Anwalt hinzuzieht und damit die rein personale Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verlässt.
  • Die Anhörung dient nicht der Überführung des Arbeitnehmers, sondern sie soll ihm Gelegenheit geben, bei der Aufklärung des Sachverhalts entlastende Umstände vorzutragen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist daher im Rahmen der Anhörung nur dann notwendig, um einer absehbar drohenden Überforderung des Arbeitnehmers gerecht zu werden und/oder um den Arbeitnehmer vor einer (unbedachten) Selbstbezichtigung zu schützen.

Was ist passiert?

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Der Arbeitgeber betreibt einen Großhandel mit Computern und Computerteilen und beschäftigt insgesamt ca. 400 Arbeitnehmer. Das Betriebsratsmitglied S, geboren 1968, verheiratet, drei Kinder, ist bei ihm seit dem 4.11.1996 als Lagermitarbeiter beschäftigt. Das Lager wird videoüberwacht. Dazu besteht eine Betriebsvereinbarung.
Die Ast. hegt gegen das BR-Mitglied nach der Auswertung einer Videoaufzeichnung aus dem Lager den Verdacht, er habe am 7.10.2016 80 SSD-Festplatten im Wert von 23.984,80 €, die später bei einem Onlinehändler sichergestellt wurden und die dieser von einem polnischen Lieferanten erhalten haben will, in ihrem Warenlager beiseitegeschafft. Anhand der Videoaufzeichnung konnte der Vorwurf nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden. Zwar sprechen sehr starke Indizien gegen das BR-Mitglied, aber einen lückenlosen Beweis gab es nicht.
Das Strafverfahren gegen das BR-Mitglied war von der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmungsersetzung zurückgewiesen.

Wie hat das LAG entschieden?

Es hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und dem Antrag des Arbeitgebers stattgegeben.
Neben vielen anderen Fragen (zum Beispiel zu der Zulässigkeit der Beweisverwertung der Videoaufzeichnung) hatte sich das Gericht auch mit dem Problem auseinanderzusetzen, ob ein Arbeitnehmer, dem wegen eines dringen Verdachts einer Straftat gekündigt werden soll, zu der von der Rechtsprechung geforderten vorherigen Anhörung einen Rechtsanwalt seiner Wahl hinzuziehen darf. Hier vertritt das Gericht eine grundsätzlich sehr arbeitnehmerfreundliche Position. Es ist nicht nur der Auffassung, dass ein Arbeitnehmer das darf, sondern hält den Arbeitgeber sogar für verpflichtet, hier ggf. sogar zugunsten des Arbeitnehmers das Gespräch abzubrechen, damit dieser sich ggf. einen Rechtsbeistand hinzuziehen kann.

Das ist dann aber entbehrlich, wenn der Mitarbeiter es abgelehnt hat, Stellung zu nehmen. So war es nach Auffassung des Gerichts hier. Der Mitarbeiter S. habe zweifelsfrei erkennen lassen, dass er sich zu den Vorwürfen nicht weiter äußern wolle. Unter anderem deshalb sah sich das Gericht in der Lage, abschließend über den Antrag des Arbeitgebers zu entscheiden.

Fazit

Der Beschluss ist in vielfacher Hinsicht sehr lesenswert. Er zeigt insbesondere sehr anschaulich, wie eine Betriebsvereinbarung zur Videoüberwachung praktisch angewendet wird, wenn sich Verdachtsmomente für eine Straftat ergeben. Insofern können aus der Entscheidung zahlreiche Schlüsse für die Formulierung einer solchen BV gezogen werden.

Darüber hinaus beschäftigt sich der Beschluss aber auch mit den Konsequenzen, die sich daraus entwickeln. Selbst dann, wenn sich aus den Videoaufzeichnungen kein eindeutiger Tatnachweis führen lässt, können die Aufzeichnungen aber Anlasse für eine Verdachtskündigung sein. Ein aus meiner Sicht sehr spannender „Fall“, der noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Revision ist vor dem BAG anhängig.

(LAG Köln, Beschluss vom 06.07.2018 – 9 TaBV 47/17)