Arbeitsrecht

Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung schwerbehinderter Menschen

Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, an einer stufenweisen Wiedereingliederung eines/einer schwerbehinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben dergestalt mitzuwirken, dass er diese(n) entsprechend den Vorgaben eines Wiedereingliederungsplans beschäftigt.

Was ist passiert?

Der schwerbehinderte Kläger ist bei der beklagten Stadt als Bauleiter beschäftigt. Von August 2014 bis einschließlich 6. März 2016 war er arbeitsunfähig erkrankt. Am 21. September 2015 fand eine betriebsärztliche Untersuchung des Klägers statt. In der Beurteilung der Betriebsärztin vom 12. Oktober 2015 wurde eine stufenweise Wiedereingliederung zur vorsichtigen Heranführung an die Arbeitsfähigkeit mit bestimmten Einschränkungen in der Tätigkeit befürwortet. Unter Vorlage des Wiedereingliederungsplans seines behandelnden Arztes vom 28. Oktober 2015 beantragte der Kläger bei der beklagten Stadt die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben im Zeitraum vom 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016. Der Wiedereingliederungsplan des behandelnden Arztes sah keine Einschränkungen in der Tätigkeit vor. Als absehbaren Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit gab der behandelnde Arzt den 18. Januar 2016 an. Die beklagte Stadt lehnte diesen Wiedereingliederungsplan am 5. November 2015 mit der Begründung ab, dass ein Einsatz des Klägers im bisherigen Aufgabengebiet/Tätigkeitsbereich wegen der in der betriebsärztlichen Beurteilung aufgeführten Einschränkungen nicht möglich sei. Dem vom Kläger vorgelegten zweiten Wiedereingliederungsplan, der eine Wiedereingliederung in der Zeit vom 4. Januar bis zum 4. März 2016 vorsah, und dem ein Bericht der behandelnden Psychologin beilag, wonach Einschränkungen in der Tätigkeit nicht mehr bestanden, stimmte die beklagte Stadt nach erneuter – nun positiver – Beurteilung durch die Betriebsärztin zu. Diese Wiedereingliederung war erfolgreich, der Kläger erlangte am 7. März 2016 seine volle Arbeitsfähigkeit wieder.

Der Kläger fordert mit seiner Klage von der beklagten Stadt den Ersatz der Vergütung, die ihm in der Zeit vom 18. Januar bis zum 6. März 2016 dadurch entgangen ist, dass die beklagte Stadt ihn nicht entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 28. Oktober 2015 beschäftigt hat. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage auf die Berufung des Klägers im Wesentlichen stattgegeben.

Wie hat das BAG entschieden?

Die Revision der Stadt hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.

Sie war nicht verpflichtet, den Kläger entsprechend den Vorgaben des 1. Wiedereingliederungsplans vom 28. Oktober 2015 in der Zeit vom 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016 zu beschäftigen. Das BAG wiederholt in der Begründung des Urteils noch einmal seine bisherige Rechtsprechung, nach der nicht schwerbehinderte Menschen keinen Anspruch auf Mitwirkung des Arbeitgebers an einer stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben haben. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis. Vielmehr ist das Wiedereingliederungsverhältnis ein Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis), zu dessen Begründung es einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedarf, wobei für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit gilt. Etwas anderes gilt jedoch, wenn es um die stufenweise Wiedereingliederung eines/einer schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben geht. In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken und eine schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Person entsprechend den Angaben im ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen.

Im Fall des Klägers lagen allerdings besondere Umstände vor, aufgrund derer die beklagte Stadt ihre Zustimmung zum Wiedereingliederungsplan vom 28. Oktober 2015 verweigern durfte. Es bestand aufgrund der Beurteilung der Betriebsärztin vom 12. Oktober 2015 die begründete Befürchtung, dass der Gesundheitszustand des Klägers eine Beschäftigung entsprechend diesem Wiedereingliederungsplan nicht zulassen würde. Die begründeten Zweifel an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplans ließen sich auch nicht bis zum vorgesehen Beginn der Maßnahme ausräumen.

Fazit

Auch wenn der Kläger hier verloren hat, gibt die Entscheidung des BAG etwas Anlass zur Hoffnung. Zumindest für schwerbehinderte Menschen bestätigt das BAG grundsätzlich einen Anspruch auf Wiedereingliederung. Allerdings werden die Anforderungen an den Wiedereingliederungsplan hoch gesetzt. Und da liegt das Problem, denn viele Ärzte sind mit der Erstellung des Wiedereingliederungsplans oft überfordert. Insbesondere die Prognoseentscheidung ist wichtig, da eine Wiedereingliederung nur dann geschuldet ist, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Wiederherstellung der Arbeitskraft nach Abschluss der Wiedereingliederung zu rechnen ist. Bleibt zu hoffen, dass die behandelnden Ärzte die Aufstellung des Wiedereingliederungsplans nicht nur als lästige Pflicht empfinden, sondern ernst nehmen. Und es bleibt weiter zu hoffen, dass auch für nicht schwerbehinderte Menschen die Hürden für einen Anspruch auf Wiedereingliederung gesenkt werden.

(BAG, Urteil vom 15.05.2019 – 8 AZR 530/17)