Arbeitsrecht

Kündigung wegen Schmähkritik

  1. Ein Werturteil i.S.v. Art. 5 I 1 GG liegt bereits dann vor, sobald eine Äußerung von Elementen der Stellungnahme geprägt ist, unabhängig davon, ob sie auch Tatsachen umfasst.
  2. Schmähkritik ist nicht vom Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG umfasst. Es handelt sich jedoch nur dann um Schmähkritik, sofern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht und ein Sachbezug fehlt.

Was ist passiert?

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten. In zwei an den Vorstandsvorsitzenden und eine an ihren Vorgesetzten gerichteten E-Mails teilte die seit 2001 angestellte, drei Kinder alleinerziehende Klägerin mit, gegen sie würden „Guerilla-Aktionen“ geführt und es würde eine insbesondere durch ihren Vorgesetzten verursachte „himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ im Unternehmen vorherrschen. Von diesen Zuständen solle der Vorstandsvorsitzende nicht durch die amerikanische Presse oder der „Oprah-Winfrey-Show“ erfahren. Die Klägerin bezeichnete ihren Vorgesetzten u.a. als „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“ und forderte, nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten zu müssen, da sie unter der „Männerherrschaft“ leide. Wörtlich heißt es u.a.:

„Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in Allem: Was mir bis heute geboten wird - das kann ich doch nicht annehmen: Es beleidigt meine Intelligenz.“

Weiterhin hielt die Klägerin ihrem Vorgesetzten Führungsuntauglichkeit vor. Am 3.4.2009 wies die Beklagte sie darauf hin, dass ihre Äußerungen nicht mehr von ihrem Recht zur Meinungsäußerung gedeckt seien und forderte sie zu einer Entschuldigung auf. Anderenfalls stellte sie arbeitsrechtliche Maßnahmen in Aussicht. In einer Stellungnahme relativierte die Klägerin einige ihrer Äußerungen, entschuldigte sich jedoch nicht. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin ordentlich fristgerecht. Das LAG löste das Arbeitsverhältnis zunächst gegen Zahlung einer Abfindung auf, wies die Klage im Anschluss an eine Revision aber ab.

Wie hat das BAG entschieden?

Es hob das Urteil auf und verwies zur erneuten Verhandlung an das LAG zurück. Die Andeutung der Klägerin, die amerikanische Presse einzuschalten, falls sie weiterhin unter diesen Umständen arbeiten müsse, stellte zwar eine Verletzung ihrer Rücksichtnahmepflicht und eine widerrechtliche Drohung dar. Das LAG hatte allerdings die Wirksamkeit der Kündigung nicht auf diese Pflichtverletzung gestützt, sondern auf die Äußerungen der Klägerin über ihren Vorgesetzten. Diese Äußerungen hatte es jedoch rechtsfehlerhaft als Schmähkritik gewertet und verkannt, dass es der Klägerin dabei im Kern nicht um die Diffamierung ihres Vorgesetzten gegangen sei, sondern um die Thematisierung und Wertung der von ihr behaupteten Geschehnisse. Das gelte auch für ihre Vergleiche mit dem Leid der Juden und dem Film „Der Pate“. Mit diesen Vergleichen habe sie das als demütigend empfundene Verhalten ihres Vorgesetzten bewertet. Solche Werturteile sind auch im Arbeitsverhältnis vom Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG erfasst. Das LAG habe deshalb die Meinungsfreiheit der Klägerin mit der sie beschränkenden Pflicht zur Rücksichtnahme im Arbeitsverhältnis abwägen müssen. Weil es das versäumte, muss das LAG nun erneut entscheiden.

Fazit

Das Verfahren dürfte als eines der längsten in die Geschichte der Arbeitsgerichtsbarkeit eingehen. Die Kündigung stammt aus dem Jahre 2009, und ein Ende des Rechtsstreits ist nach der Zurückverweisung an das LAG noch immer nicht in Sicht. Das zeigt auch, wie schwierig es in der Praxis ist, zu entscheiden, wann die Grenze zur Schmähkritik überschritten ist. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt auch im Betrieb, auch Arbeitgeber müssen sich Kritik gefallen lassen. Insoweit folgt das BAG den strengen Regeln, die das Bundesverfassungsgericht 2018 aufgestellt hat. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Gerichts auf das Gebot der Rücksichtnahme, dessen Verletzung geeignet sein könne, ggf. eine Kündigung zu rechtfertigen. Mal sehen was das LAG aus diesem Hinweis jetzt macht.

(BAG, Urteil v. 05.12.2019 – 2 AZR 240/19)