Arbeitsrecht

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Verletzung der Anzeigepflicht bei fortdauernder Erkrankung

  1. Die schuldhafte Verletzung der Nebenpflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit (AU) ist grundsätzlich geeignet, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen und kann daher – je nach den Einzelfallumständen – einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen.
  2. Auch die Fortdauer einer AU über die zunächst angezeigte Dauer hinaus ist unverzüglich mitzuteilen. Das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen gehört ebenso wie ihr Vorhandensein zur Interessenabwägung bei einer auf die Verletzung der Anzeigepflicht gestützten Kündigung.

Was ist passiert?

Es geht um die Kündigung eines langjährig als Lagerist beschäftigten AN, der seit ca. einem Jahr durchgehend erkrankt war. Ihm wird vorgeworfen, seine weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit (AU) dem Arbeitgeber trotz vorheriger Abmahnung nicht rechtzeitig angezeigt zu haben. Die Betriebsordnung sieht vor, dass bei AU unverzüglich am ersten Arbeitstag die Gründe und die voraussichtliche Dauer gegenüber dem Vorgesetzten angegeben werden müssen. Auf diese Regelungen soll der Kläger während der AU zusätzlich schriftlich hingewiesen worden sein. Die Beklagte mahnte den Kläger wegen Nichterscheinens ab, zwei weitere Abmahnungen enthielten den Vorwurf des Verstoßes gegen die Anzeigepflichten, weil Folgebescheinigungen den Vorgesetzten nicht rechtzeitig erreicht hätten. Die Einreichung einer Folgebescheinigung im Laufe des Montags nach ursprünglich am Freitag endender AU führte zur Kündigung des Klägers.

Wie hat das BAG entschieden?

Das BAG hat die Entscheidung nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Gemäß § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Die Anzeigepflicht ist nicht auf den Fall einer Ersterkrankung beschränkt. Sie umfasst die Verpflichtung, auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen.

Der Arbeitgeber kann grundsätzlich darauf vertrauen, der Arbeitnehmer werde, ohne eine anderslautende Anzeige, seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Dauer der Arbeitsunfähigkeit wieder aufnehmen. Es gebe keine Pflicht zu bestätigen, dass es bei der zuletzt attestierten Dauer der AU verbleibe. Insoweit bestünde auch nicht generell eine größere Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauere und nicht wie mitgeteilt ende, wie es das LAG angenommen habe. Das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers sei deshalb durch eine nicht unverzügliche Anzeige grundsätzlich unabhängig davon beeinträchtigt, ob es sich um eine Ersterkrankung oder eine Fortsetzungserkrankung handele. Das BAG stellt klar, dass es der Organisationshoheit des AG obliege, ob und ggf. wie er krankheitsbedingte Arbeitsausfälle kompensiere, insbesondere er nicht verpflichtet sei, sich bei Langzeiterkrankungen um eine längerfristige Ersatzlösung bemühen zu müssen.

Fazit

Das Verfahren ist sehr bemerkenswert. Offenbar war es dem zweiten Senat des BAG (der für Kündigungen zuständig ist) ein dringendes Bedürfnis, die Anforderungen an eine richtige „Krankmeldung“ festzuzurren. Dazu scheut das BAG auch nicht davor zurück, dem Landesarbeitsgericht das zweitinstanzliche Urteil regelrecht „um die Ohren zu hauen“.

Bei einer Erkrankung bestehen grundsätzlich zwei Verpflichtungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die erste besteht darin, die bestehende Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen, die zweite in der Vorlege der AU-Bescheinigung. Unverzüglich die Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen heißt hier ohne schuldhaftes Zögern. Die Anzeigepflicht entsteht also schon dann, wenn ich merke, dass ich nicht zur Arbeit kommen kann.

Zeichnet sich ab, dass ich nach dem Ende der bisher bestehenden Arbeitsunfähigkeit weiterhin nicht zur Arbeit kommen kann, entsteht die Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung erneut (unabhängig davon, dass eine weitere AU-Bescheinigung vorzulegen ist). Läuft also eine bestätigte Arbeitsunfähigkeit beispielsweise am 31.08. aus, muss ich auch spätestens am frühen Morgen des 01.09. dem Arbeitgeber mitteilen, dass ich weiterhin arbeitsunfähig sein werde, auch wenn noch keine AU-Bescheinigung vorliegt oder per Post auf dem Weg zum Arbeitgeber unterwegs ist.

Das BAG stellt jetzt noch einmal klar, dass ein Verstoß gegen diese Mitteilungspflicht ggf. nach entsprechender Abmahnung ein Kündigungsgrund sein kann.

(BAG, Urteil v. 07.05.2020 – 2 AZR 235/19)