Arbeitsrecht

Unwirksamer Betriebsratsbeschluss wegen fehlerhafter Einberufung

  1. Attestiert ein Arzt bei einem vollständig freigestellten Betriebsratsmitglied eine Arbeitsunfähigkeit, begründet dies eine zeitweilige Verhinderung im Sinne des § 25 Satz 2 BetrVG, da dem Betriebsratsmitglied eine Erfüllung der ihm während seiner Freistellung nach § 38 Abs. 1 BetrVG obliegenden Pflichten unmöglich ist.
  2. Verstöße gegen die Regelungen in § 29 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 BetrVG, nach denen der Betriebsratsvorsitzende – im Verhinderungsfall sein Stellvertreter – die Sitzungen des Betriebsrats einberuft und die anderen Betriebsratsmitglieder hierzu lädt, haben die Unwirksamkeit eines auf einer solchen Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses zur Folge. Der Senat hat offengelassen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Recht der Betriebsratsmitglieder zum sog. Selbstzusammentritt besteht und ob solche Verstöße ggf. geheilt werden können.

Was ist passiert?

Die Beteiligten streiten u. a. über die Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses. Die Ein-ladung zu der Betriebsratssitzung erfolgte durch ein einfaches Betriebsratsmitglied, da der freigestellte BR-Vorsitzende zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt und sein Stellvertreter urlaubsbedingt verhindert war. Das Betriebsratsmitglied lud über den passwortgeschützten E-Mail Account des Betriebsratsvorsitzenden – angeblich in dessen Anwesenheit – zur Betriebsratssitzung ein und unterzeichnete die E-Mail mit seinem eigenen Namen. Der Betriebsratsvorsitzende nahm an der folgenden Betriebsratssitzung lediglich als „Gast“ teil. Mit dem als „Gast“ teilnehmenden BR-Vorsitzenden waren acht von neun BR-Mitgliedern anwesend. Diese beschlossen einstimmig, die Zustimmung zu den personellen Einzelmaßnahmen zu verweigern. Die Arbeitgeberin setzte die personellen Einzelmaßnahmen um ohne ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten.

Der Betriebsrat begehrte in der Folge, der Arbeitgeberin aufzugeben, ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten. Die Vorinstanzen wiesen dies zurück.

Wie hat das BAG entschieden?

Der 1. Senat hat die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hier zurückgewiesen.

Das BAG stellt noch einmal klar: Die Arbeitsunfähigkeit eines Betriebsratsmitglieds stellt nicht notwendigerweise eine Verhinderung dar. Es kann Fälle geben, in denen die Erkrankung den Arbeitnehmer zwar außerstande setzt, seine Arbeitspflicht zu erfüllen, nicht aber sein Betriebsratsamt wahrzunehmen.

Anders ist dies jedoch bei einem nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglied. Eine in diesem Fall vom Arzt attestierte Arbeitsunfähigkeit hat zur Folge, dass das freigestellte Betriebsratsmitglied verhindert ist, da es ihm krankheitsbedingt unmöglich ist, seine Amtspflichten auszuüben. Ob und in welchem Umfang er sich subjektiv zur Wahrnehmung seines Amtes in der Lage sieht, ist dabei unerheblich. Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit sei die konkret auszuübende Tätigkeit, hier also die des Betriebsratsvorsitzenden. Wenn ihm dafür eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird, hat dies zur Folge, dass er auch das Amt tatsächlich nicht ausüben kann.

Dementsprechend war die Einladung zur Betriebsratssitzung nicht ordnungsgemäß erfolgt, da weder der Betriebsratsvorsitzende noch sein Stellvertreter persönlich die Einladung ausgestellt hatten. Da somit nicht ordnungsgemäß zur Betriebsratssitzung eingeladen worden war, sind die auf der Betriebsratssitzung gefassten Zustimmungsverweigerungsbeschlüsse unwirksam. Somit war auch die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG verstrichen, der Arbeitgeber musste nicht mehr das Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten.

Fazit

Auf den ersten Blich überrascht die Entscheidung. Während ein einfaches Betriebsratsmitglied an einer Betriebsratssitzung auch dann teilnehmen kann, wenn es arbeitsunfähig erkrankt ist, soll dies für einen freigestellten Betriebsrat nicht gelten. Liest man aber die Entscheidungsgründe einmal nach, ist in der Tat diese Unterscheidung durchaus zutreffend.

Offengelassen hat das BAG in seiner Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen Betriebsräte auch dann wirksam Beschlüsse fassen können, wenn sowohl der Vorsitzende als auch sein Stellvertreter verhindert sind und der Betriebsrat bspw. spontan zusammentritt. Das BAG schließt zwar eine solche Möglichkeit nicht aus, musste hier aber dazu auch nicht Stellung nehmen, zumal der Betriebsrat nicht vollständig anwesend war.

Für die Praxis wichtig ist sicherlich, dass bei längerer Arbeitsunfähigkeit eines Betriebsratsvorsitzenden oder seines Stellvertreters der Betriebsrat gut beraten ist, vorsorglich einen weiteren Stellvertreter für die Dauer der Verhinderung zu bestellen, um handlungsfähig zu bleiben. Es sollten mindestens zwei Betriebsratsmitglieder dauerhaft zur Stellvertretung vorhanden sein, wenn ein vertretungsberechtigter Betriebsratsvorsitzender längerfristig ausfällt.

(BAG, Beschluss vom 28.07.2020 – 1 ABR 5/19)