Arbeitsrecht

Mitbestimmung des Betriebsrats bei kurzzeitigen Versetzungen

Eine – für die Annahme einer Versetzung i. S. v. § 95 Abs. 3 BetrVG bei kurzzeitiger Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs zwin­gend notwendige – erhebliche Änderung der äußeren Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, liegt nur vor, wenn diese Änderung aus objektiver Sicht bedeutsam und für den betroffenen Arbeitnehmer gravierend ist. Hierbei kann auch von Bedeutung sein, wie lange der Arbeitnehmer den mit den äußeren Faktoren der Arbeit einhergehenden Belastungen ausgesetzt ist. (amtl. Leitsatz)

Was ist passiert?

Die Beteiligten streiten über das Beteiligungsrecht des BR eines Super­marktes bei kurzzeitigen Versetzungen zwischen einer halben bis maximal sechs Stunden.

Bei personellen Engpässen in den Bereichen „Kasse“ und „Logistik“ müssen Arbeitnehmer aus verschiedenen Abteilungen aushelfen. Sie füllen z. B. Regale auf oder kassieren. Die Tätigkeit an der Kasse zeichnet sich durch eine hohe Lärmbelästigung aus, im Bereich Logistik unterliegt sie hohen Temperaturschwankungen. Bei den Arbeitnehmern handelt es sich z. B. um Haustechniker, EDV-Mit­ar­bei­ter, Mitarbeiter der Personalabteilung, Teamleiter oder Teamassistenten des Bereichs Sales & Support oder Abteilungsleiter. Der Betriebsrat geht davon aus, dass es sich bei den kurzzeitigen Einsätzen um Versetzungen handele, da eine erhebliche Änderung der Umstände vorliegt, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Die Aushilfs­arbeit unterscheide sich durch den fremdbestimmten Arbeits­rhythmus, den Kundenkontakt und den Stress von den anderen Tätigkeiten. Er hat deshalb beantragt, festzustellen, dass die jeweilige kurzfristige Zuweisung des jeweils anderen Arbeitsbereichs zwischen einer halben und sechs Stunden das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 in Verbindung mit § 95 Abs. 3 BetrVG auslöst.

Das ArbG hat die Anträge des Betriebsrats abgewiesen; das LAG hatte ihnen teilweise stattgegeben. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen die Beteiligten ihr jeweiliges Begehren weiter.

Wie hat das BAG entschieden?

Der 1. Senat hat die Anträge des BR insgesamt abgewiesen.

Eine erhebliche Änderung der äußeren Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, kann nur angenommen werden, wenn diese Än­der­ung aus objektiver Sicht bedeutsam und für den betroffenen Ar­beit­neh­mer gravierend ist. Hierbei kann auch dem zeitlichen Moment eine Bedeutung zukommen. Die mit äußeren Faktoren der Arbeit ein­her­ge­hen­den Belastungen können für den Arbeitnehmer geringer sein, wenn er diesen nur in einem zeitlich sehr begrenzten Ausmaß ausgesetzt ist. Damit kann nicht nur der Grad, sondern auch die Dauer der Belastung deren Intensität beeinflussen.
Die Systematik des § 95 Abs. 3 BetrVG steht einem solchen Ver­ständ­nis nicht entgegen. Aus dem Umstand, dass das Gesetz bei der Zu­wei­sung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, stets von einer nach § 99 BetrVG zustimmungspflichtigen Versetzung ausgeht, lässt sich nicht ableiten, bei kurzzeitigeren Einsätzen dürfe deren zeitlicher Umfang bei der Würdigung, ob die damit einhergehende Änderung der äußeren Arbeitsumstände erheblich ist, keine Rolle spielen. Für einen solchen Umkehrschluss bietet das Gesetz keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die in § 95 Abs. 3 BetrVG festgelegte zeitliche Vorgabe knüpft nur an die (voraussichtliche) Zuweisung des geänderten Arbeitsbereichs an, schließt es aber nicht aus, im Rahmen des (vom Gesetzgeber nicht näher definierten) unbestimmten Rechtsbegriffs der Erheblichkeit bei - mit kurzzeitigeren Zuweisungen verbundenen - Änderungen äußerer Arbeitsumstände auch deren zeitliche Dauer in die Würdigung einfließen zu lassen.
Soweit die Arbeitnehmer bei den - nur eine sehr kurze Zeit um­fas­sen­den - Tätigkeiten an den Selbstbedienungskassen der Gefahr von Zugluft, etwaigen Temperaturschwankungen sowie einem höheren Lärmpegel ausgesetzt sind, stellt sich die dadurch bedingte Änderung der äußeren Arbeitsumstände aus objektiver Sicht für sie nicht als besonders gravierend dar. Entsprechendes gilt für halbstündige Ein­sätze der Arbeitnehmer zum Auffüllen der Regale auf der Verkaufs­fläche (Bereich „Logistik“).

Fazit

Die Entscheidung des BAG betont ausdrücklich, dass hier zwischen dem kollektiven Tatbestand der Mitbestimmung des Betriebsrates und der individuellen Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag des einzelnen Arbeitnehmers zu unterscheiden ist. Der Beschluss des BAG hat sich nicht mit der Frage befassen müssen, ob die Mitarbeiter arbeits­ver­trag­lich verpflichtet gewesen sind, diese Versetzungen zu akzeptieren, oder ob sie die Arbeiten hätten ablehnen dürfen.

Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack, wenn ein Mitarbeiter aus der EDV plötzlich Regale auffüllen soll. Dass das keine wesentliche Änder­ung der Umstände der Arbeit ist, will mir trotz der Begründung des BAG nicht einleuchten.

(BAG, Beschluss vom 29.09.2020 – 1 ABR 21/19)