Arbeitsrecht

Betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) – Verhältnismäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung

Der Arbeitgeber muss gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nach einem durchgeführten bEM erneut ein bEM durchführen, wenn der Arbeit­nehmer nach Abschluss des ersten bEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeits­unfähig wird. Der Abschluss eines bEM ist dabei der Tag „Null“ für einen neuen Referenzzeitraum von einem Jahr. Ein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ hat ein bEM nicht. Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung des bEM im Jahreszeitraum des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Was ist passiert?

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen personen­bedingten Kündigung vom 26.2.2020. Der 1973 geborene, schwer­behin­derte Kläger arbeitete seit 2001 zuletzt als Produktionshelfer bei der Beklagten. Der Kläger war im Jahr 2010 an 45 Tagen, im Jahr 2011 an 90 Tagen, im Jahr 2012 an 31 Arbeitstagen, im Jahr 2013 an 85 Tagen, im Jahr 2014 an 40 Tagen, im Jahr 2015 an 258 Tagen, im Jahr 2016 an 213 Tagen, im Jahr 2017 an 19 Tagen, im Jahr 2018 an 52 Tagen und im Jahr 2019 an 51 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Dadurch entstanden erhebliche Entgeltfortzahlungskosten. Die Beklagte sprach dem Kläger am 2015 zunächst eine ordentliche betriebsbedingte, 2016 eine personenbedingte Kündigung aus, jeweils erfolglos. Vor ihrer zweiten personenbedingten Kündigung vom 26.9.2019 führte die Beklagte am 5.3.2019 ein bEM durch. Dieses unterblieb vor der dritten krankheitsbedingten Kündigung vom 26.2.2020. Der dagegen erhobenen Kündigungsschutzklage gab das ArbG statt.

Wie hat das LAG entschieden?

Das LAG wies die Berufung unter anderem deshalb zurück, weil die Beklagte das vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung erforderliche erneute bEM nicht durchgeführt hatte, wozu sie nach § 167 II SGB IX verpflichtet gewesen sei. Jedenfalls sei das bEM nicht deshalb entbehrlich, weil das letzte bEM zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht länger als ein Jahr zurückliege. Vielmehr beginnt mit dem Ende des bEM-Verfahrens grundsätzlich ein neuer Zeitraum, innerhalb dessen ein neues bEM-Verfahren durchzuführen sei, wenn erneut eine mehr als sechswöchige Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist.

Durch die Ablehnung eines bEM in der Vergangenheit ergäbe sich keine andere Beurteilung. Der Arbeitgeber hätte nicht hinreichend dargelegt, dass ein vor der Kündigung durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Es sei nicht auszu­schließen, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit und/oder eine andere Verteilung der Arbeitszeit positive Effekte auf den Umfang der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers hätte haben können.

Fazit

Die sehr ausführliche Entscheidung des LAG Düsseldorf ist sehr lesenswert. Dabei überzeugt nicht nur die dogmatische Begründung für die erneute Erforderlichkeit eines BEM-Verfahrens, sondern das Gericht setzt sich auch ausführlich mit der Frage auseinander, was im Rahmen eines solchen BEM-Verfahrens gegebenenfalls zu berück­sichtigen ist, um eine Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters zu ermöglichen. Die Anforderungen des Gerichts sind hoch. Aber nur so kann vermieden werden, dass das BEM nur ein lästiges Beiwerk ist, das es aus formalen Gründen zu beachten gilt.

Allerdings hat das LAG wegen der besonderen Bedeutung der Angelegenheit die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

(LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20)