Arbeitsrecht

Kein unverhältnismäßiger Eingriff durch eine Betriebsvereinbarung in das Arbeitsentgelt

Die Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die unbezahlte Wegezeiten zu Lasten der Beschäftigten kumuliert, indem sie den nach verpflichtender Aufsuchung der Betriebsstätte zurückzulegenden Weg zu wechselnden auswärtigen Einsatzorten bis zu arbeitstäglich eineinviertel Stunden vergütungsfrei stellt, greift unverhältnismäßig in das arbeitsvertragliche Synallagma ein und ist daher unwirksam.

Was ist passiert?

Der Kläger ist bei der Arbeitgeberin als Prüftechniker beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag ist ein Stundenlohn vereinbart. Weitere Spezifizierungen hinsichtlich der Entlohnung wurden nicht vereinbart. Der Kläger hat regelmäßig Baustellen aufzusuchen, um dort seine Prüftätigkeit zu verrichten. In der Präambel zum Arbeitsvertrag heiß es, dass „das Arbeitsverhältnis …auf der Grundlage der jeweils gültigen gesetzlichen Bestimmungen und betrieblichen Vereinbarungen, in Anlehnung an den Tarifvertrag des Deutschen Bauhauptgewerbes geschlossen (wird)“.

In einer Betriebsvereinbarung ist geregelt, dass die ersten eineinviertel Stunden der Anfahrt zur Baustelle nicht vergütet werden. Der Kläger begehrt mit seiner Klage eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto hilfsweise die Auszahlung von Entgelt. Das ArbG hat die Klage abgewiesen.

Wie hat das LAG entschieden?

Die Berufung des Klägers war erfolgreich. Das LAG hält die Betriebsvereinbarung für unwirksam. Es hat festgestellt, dass die Fahrt zur Baustelle ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgt. Wenn der Kläger seine Tätigkeiten außerhalb des Betriebs zu erbringen hat, zählt die Fahrt zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Da der Kläger verpflichtet ist, die Fahrt vom Betrieb aus anzutreten, handelt es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeit. Der Arbeitsvertrag unterscheidet nicht zwischen der Entlohnung der eigentlichen Tätigkeit und der Fahrzeit, so dass nach dem Arbeitsvertrag dem Kläger der gleiche Stundenlohn für beide Tätigkeiten zusteht. Es wäre zwar möglich, eine andere Vergütung für die Fahrtzeit durch Betriebsvereinbarung festzulegen, aber nicht im vorliegenden Fall. Die Absenkung des Stundenlohns auf null für die ersten eineinviertel Stunden der Fahrt ist wegen Unverhältnismäßigkeit unwirksam. Da der Kläger in jedem Fall gezwungen ist, die Fahrt von der Betriebsstätte aus anzutreten – selbst dann, wenn die Baustelle näher zu seinem Wohnort als zur Betriebsstätte liegt –, kann es zu einer unverhältnismäßigen Kumulation von unbezahlten Fahrzeiten kommen Dafür ist kein sachliches Interesse des Arbeitgebers ersichtlich. Aber selbst für den Fall, dass die Betriebsvereinbarung wirksam wäre, ginge der Arbeitsvertrag als günstigere Regelung vor. Der Arbeitsvertrag wurde nicht „betriebsvereinbarungsoffen“ gestaltet. Die Präambel des Arbeitsvertrags bezieht sich zwar auf betriebliche Vereinbarungen, sie bleibt jedoch intransparent. Die Abbedingung des Günstigkeitsprinzips wurde nicht klar und verständlich zum Ausdruck gebracht. Der Arbeitsvertrag hätte den Vorrang von Betriebsvereinbarungen und die von diesem Vorrang erfassten Vertragsbestandteile klar erkennen lassen müssen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.

Fazit

Die Frage, ob und inwieweit durch eine Betriebsvereinbarung von arbeitsvertraglichen Regelungen abgewichen werden kann, ist heftig umstritten, auch das LAG Berlin-Brandenburg hat diese Frage nicht abschließend beantwortet. Es hat aber zumindest sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine solche „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ von Arbeitsverträgen nur dann angenommen werden kann, wenn im Arbeitsvertrag deutlich und transparent geregelt ist, wie und in welchem Umfang ggf. durch eine Betriebsvereinbarung von den vereinbarten Regelungen abgewichen werden kann. Der pauschale Hinweis in einer Präambel des Arbeitsvertrages, dass die entsprechenden betrieblichen Regelungen zur Anwendung kommen, reicht dem LAG Berlin-Brandenburg nicht aus. Das ist zunächst einmal sehr zu begrüßen. Mit Spannung wird jetzt darauf zu warten sein, wie das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht weitergeht.

(LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 08.01.2021 – 12 Sa 1859/19)