Arbeitsrecht

Annahmeverzugslohn bei unterbliebener Arbeitslosmeldung

  1. Eine Verletzung der Meldeobliegenheit nach § 38 Abs. 1 SGB III muss auch bei Streitigkeiten über den Annahmeverzugslohn bei der Auslegung des Begriffs des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes berücksichtigt werden und zwar anhand der gemeinsamen Vertragsbeziehung unter Berücksichtigung der Verkehrssitte.
  2. Die Einschätzung der Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG setzt stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen anhand einer Bewertung aller Umstände des konkreten Einzelfalls voraus.

Was ist passiert?

Die Parteien streiten über Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug. Der Kläger war bei der Beklagten in leitender Position beschäftigt. Am 5.3.2019 kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2019. Mit Urteil vom 18.11.2020 stellte das ArbG rechtskräftig die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Der Kläger hatte sich nicht bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet und erhielt somit auch kein Arbeitslosengeld.

Der Kläger klagte anschließend Annahmeverzugslohn für die Zeit ab Zugang der Kündigung ein und war der Ansicht, ihm stehe für den gesamten Zeitraum Annahmeverzugslohn zu, da er während und nach Ablauf der Kündigungsfrist kein anderweitiges Einkommen gehabt habe. Die Beklagte vertrat die Auffassung, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, da er seine sozialversicherungsrechtliche Meldepflicht verletzt habe. Das ArbG gab der Klage auf Annahmeverzugslohn statt. Das LAG Niedersachen wiederrum ging davon aus, die Verletzung der Meldeobliegenheit aus § 38 Abs. 1 SGB III erfülle stets das Merkmal des böswilligen Unterlassens, was im Ergebnis zum Verlust des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn führe.

Wie hat das BAG entschieden?

Das BAG hielt die Revision des Klägers für begründet. Das LAG habe es versäumt, eine erforderliche Würdigung aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmen, um das böswillige Unterlassen anderweitiger Verdienste zu belegen. Das LAG habe zutreffend erkannt, dass sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes aufgrund des rechtskräftigen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses nach § 11 Nr. 2 KSchG richte. Eine Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes kommt nach Ansicht des BAG nach § 11 Nr. 2 KSchG jedoch nur in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs eine bewusste Untätigkeit vorgeworfen werden kann, er eine ihm zumutbare andere Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit willentlich vereitelt. Hierbei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls maßgeblich und zu beachten. Das BAG verlangt dafür stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkret vorliegenden Falls. Dadurch wird ausgeschlossen, dass ein bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigender Umstand unabhängig von den übrigen Umständen generalisiert wird.

Allein die Verletzung der Meldeobliegenheit nach § 38 Abs. 1 SGB III erfüllt noch nicht das Merkmal des böswilligen Unterlassens nach § 11 Nr. 2 KSchG. Allerdings können die sozialrechtlichen Handlungspflichten des Arbeitnehmers bei der Auslegung des Begriffs der Böswilligkeit mit herangezogen und beachtet werden, denn dem Arbeitnehmer dürfe arbeitsrechtlich das zugemutet werden, was ihm das Gesetz ohnehin abverlangt. Deshalb hat das BAG die Sache zur weiteren Verhandlung an das LAG zurückverwiesen.

Fazit

Die Entscheidung ist nicht unproblematisch. Dem BAG ist sicherlich darin zuzustimmen, dass allein eine nicht erfolgte Arbeitslosmeldung noch kein böswilliges Unterlassen im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG bedeutet. Aber unterschwellig kommt doch deutlich zum Ausdruck, dass die fehlende Arbeitslosmeldung schon ein sehr gewichtiges Indiz für die Böswilligkeit des Unterlassens eines anderweitigen Erwerbs sein kann. Schon in einer früheren Entscheidung hatte das BAG einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer anerkannt, der Vergütung wegen Annahmeverzug fordert, über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Grundlage des Auskunftsbegehrens sei eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB. Es ist hier eine deutliche Tendenz des BAG zu spüren, den Druck auf gekündigte Arbeitnehmer zu erhöhen, schon während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses eine anderweitige Tätigkeit aufzunehmen. Einige Gerichte gehen jetzt schon so weit, die Anzahl und die Qualität der Bewerbungen zu prüfen, um daraus ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs zu konstruieren. Eine unheilvolle Entwicklung, die geeignet ist, einen effektiven Kündigungsschutz erheblich einzuschränken.

(BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22)