Arbeitsrecht

Kündigung nach fehlerhaftem bEM-Verfahren

Sieht die Konzeption eines betrieblichen Eingliederungsmanagements als ersten Schritt ein vorgeschaltetes Informationsgespräch und als zweiten Schritt das betriebliche Eingliederungsmanagement vor, liegt der Versuch einer ordnungsgemäßen Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nur dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat. Erforderlich ist unter anderem ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten im Sinne des Datenschutzrechts – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden (Anschluss an BAG 20.11.2014 –2 AZR 755/13).

Was ist passiert?

Der seit 2014 beschäftigte Kläger wies seit dem 01.06.2018 erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Die Beklagte leistete an ihn Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in den folgenden Perioden jeweils für die folgende Zahl an Arbeitstagen: vom 01.06.2018 bis zum 31.05.2019 für 74 Arbeitstage, vom 01.06.2019 bis zum 31.05.2020 für 90 Arbeitstage, vom 01.06.2020 bis zum 31.05.2021 für 65 Arbeitstage, vom 01.06.2021 bis zum 31.05.2022 für 121 Arbeitstage und vom 01.06.2022 bis zum 31.05.2023 für 70 Arbeitstage.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ist im Betrieb auf der Basis einer Betriebsvereinbarung auf einen externen Dienstleister übertragen. Diese BV sieht vor, dass zunächst ein Einführungsgespräch durchgeführt wird, bevor es zu dem eigentlichen bEM-Gespräch kommen soll. Dieses Einführungsgespräch fand am 20.02.23 statt. Hierüber wurde ein Datenblatt erstellt, in dem auf Seite 1 persönliche Daten des Klägers sowie verschiedene Angaben unter „Leistungseinschränkungen laut Betriebsarzt sonstige ärztliche Stellungnahme/eigene Angaben“ eingetragen wurden. Seite 2 enthält eine Angabe unter „Arbeitsbedingungen/-belastungen/-anforderungen“. Ferner findet sich dort die Rubrik „Einverständniserklärung für BEM liegt vor:“, in der die Angabe eingetragen ist „Nein, da Arbeit passt“. In der nächsten Zeile ist unter „Falls nein – Grund:“ die Angabe „s. o.“ eingetragen. Seite 3 des „Datenblatt Infogespräch“ enthält ausschließlich die Rubrik „Vereinbarungen bis zum nächsten Termin“. Hier ist folgender Text eingetragen: „BEM startet nicht, da MA mit Arbeitsplatz zufrieden, keine Einschränkungen zurzeit BEM-Infogespräch hat am 20.02.23 stattgefunden. Falls der MA erneut erkrankt, kann er freiwillig ein BEM starten bzw. nach sechs Wochen erneuter Arbeitsunfähigkeit bekommt er eine neue Einladung.“

Nach Anhörung des Betriebsrates – der dazu keine Stellungnahme abgab – kündigte die Beklagte schließlich das Arbeitsverhältnis zum 31.10.23. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt.

Wie hat das LAG entschieden?

Es hat die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen. Das LAG erkennt etliche Verfahrensfehler bei der Durchführung des BEM. So sei beispielsweise dem Kläger nicht mitgeteilt worden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten im Sinne des Datenschutzrechts – erhoben, gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Ein zweiter Verfahrensfehler liege darin, dass die Beklagte hat den Kläger in ihrem Einladungsschreiben vom 24.01.2023 einerseits ausdrücklich nur zu einem „ersten Informationsgespräch“ mit der bEM-Beauftragten eingeladen, dies für den Fall, dass er „an der Teilnahme am bEM interessiert“ sei „und sich über nähere Einzelheiten und den genauen Verlauf des Verfahrens informieren“ wolle. Andererseits enthielt dieses angebliche erste Informationsgespräch bereits einen Gesprächsteil über die Krankheiten des Klägers, seinen Arbeitsplatz und dessen Belastungen sowie über Änderungs-Ideen und Wünsche des Klägers betreffend die Art seiner Arbeit.

Problematisch daran ist nicht die Konzeption, zwei Verfahrensschritte zu praktizieren, nämlich erstens ein vorgeschaltetes allgemeines Informationsgespräch und zweitens das anschließende eigentliche bEM. Eine solche Konzeption ist nicht generell für ein bEM notwendig, sie ist aber durchaus rechtlich zulässig. Problematisch ist vielmehr, dass die Beklagte sich nicht an ihr eigenes Konzept einer solchen Trennung gehalten habe.

Diese Fehler bei der Durchführung des BEM seien ursächlich dafür, dass der Kläger auf das „eigentliche“ BEM verzichtet habe und dieses dann auch nicht durchgeführt worden ist. Es wäre aber Sache des Arbeitgebers gewesen, erneut die Initiative zur Durchführung des „eigentlichen“ BEM zu ergreifen. Somit hätte der Arbeitgeber im Prozess darlegen müssen, dass auch mit Durchführung des BEM kein anderer Arbeitsplatz in Frage gekommen wäre. Da er das nicht darlegen konnte, blieb die Berufung des Arbeitgebers erfolglos.

Fazit

Es ist bemerkenswert, mit welcher Präzision das LAG hier die Voraussetzung eines ordentlichen bEM-Verfahrens prüft. Obwohl Arbeitgeber und Betriebsrat sich hier durchaus Mühe mit dem bEM gegeben haben, hat das Gericht zahlreiche Fehler erkannt, die letztlich zur Unwirksamkeit des bEM-Verfahrens geführt haben. Auch wenn das bEM nach wie vor keine formale Zulässigkeitsvoraussetzung für eine anschließende personenbedingte Kündigung ist, hat das LAG mit dieser Entscheidung das bEM noch einmal deutlich aufgewertet.

(LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.01.2025 – 9 15 Sa 22/24)