Mitbestimmung des Betriebsrates bei Abbau einer betrieblichen Übung
Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, nach der ein tarifgebundener Arbeitgeber den Arbeitnehmern künftig keine Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause während der Arbeitszeit mehr gewährt, enthält keine Änderung eines betrieblichen Entlohnungsgrundsatzes und unterliegt damit nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.
Was ist passiert?
Die Parteien streiten über die Gewährung einer zusätzlichen, bezahlten Pause unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung.
Der Kläger ist bei der tarifgebundenen Beklagten als Werkstattmeister beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verweist auf die jeweiligen Betriebsvereinbarungen und Dienstanweisungen. Der maßgebliche Tarifvertrag, der aufgrund einzelvertraglicher in Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, regelt unter anderem: „Nebenabreden sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart worden sind.“
Der Arbeitgeber gewährte langjährig eine bezahlte zusätzliche Frühstückspause von 15 Minuten im Werkstattbereich, weil die Beschäftigten dort schwere Arbeit verrichten. Im September 2018 stellte sie ihre Praxis vor dem Hintergrund einer neuen „Betriebsvereinbarung zur Restrukturierung und Konsolidierung“ ein, die unter anderem folgendes regelte: „Die bisher ausgeübte Praxis der Vergütung einer 15-minütigen Pause im Werkstattbereich wird dauerhaft mit sofortiger Wirkung eingestellt.“ Diese Betriebsvereinbarung endete zum 30.12.2019 ohne Nachwirkung.
Mit seiner Klage hat der Kläger die entsprechenden Pausenzeiten für die Jahre 2019 bis 2022 sowie für die Monate Februar und März 2023 als Arbeitszeitgutschriften für sein Arbeitszeitkonto geltend gemacht – obwohl er diese Pausen seitdem nicht mehr in Anspruch genommen hat – und sich auf einen Anspruch aus betrieblicher Übung berufen. Die Bekl. hat die Auffassung vertreten, wegen des tariflichen Schriftformerfordernisses sei eine betriebliche Übung schon gar nicht entstanden. Jedenfalls sei eine solche wirksam und dauerhaft durch die Regelung in der BV abgelöst worden.
ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen.
Wie hat das BAG entschieden?
Es hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen.
Der 1. Senat stützt seine Entscheidung zum einen auf die gesetzliche Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Danach dürfen „Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen“ nicht mehr Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sein, wenn sie bereits per Tarifvertrag geregelt sind.
Der einschlägige Eisenbahn-Tarifvertrag (ETV) enthalte bereits Regelungen zur Arbeitsversäumnis. Demnach sind persönliche Angelegenheiten grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit zu erledigen, der Vertrag sehe aber in bestimmten Situationen und „dringenden Fällen“ auch Ausnahmen vor.
Dass die angegriffene Betriebsvereinbarung keine dieser Sondersituationen und Ausnahmen konkret behandle, sei unerheblich. Ausschlaggebend für eine Regelungssperre sei nur, dass sich die Regelungsgebiete überschneiden. Die Sperre solle gerade dafür sorgen, dass Betriebsvereinbarungen keine Ergänzungen oder Abweichungen zum Tarifvertrag festlegen können; so schützten sie die Tarifautonomie aus Art. 9 GG. Anders gesagt sperrt § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG eine Betriebsvereinbarung nicht nur dann, wenn sie konkret gegen den Tarifvertrag „verstoße“.
Die getroffene Betriebsvereinbarung sei darüber hinaus aber auch deshalb unwirksam, weil sie nicht unter die mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten des Betriebsrates nach § 87 BetrVG falle. So sei durch die Betriebsvereinbarung insbesondere keine Regelung über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit bzw. die Lage der Pause getroffen worden. Letzteres betreffe nur (unbezahlte) Ruhepausen, nicht etwa die Frühstückspause, die als bezahlte Freistellung fungierte.
Auch eine Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 3) sei damit nicht geregelt. Insbesondere, und das begründete der Senat im Detail, liege in der Betriebsvereinbarung keine Änderung eines betrieblichen Entlohnungsgrundsatzes (Nr. 10). Das sei nur einschlägig, wenn es um vermögenswerte (Gegen-) Leistungen des Arbeitgebers ginge. Tatsächlich sei die Frühstückspause aber nicht als eine extra erbrachte Leistung zu betrachten, sondern als „kurzfristig und situativ gebundene“ Arbeitsbefreiung. Im Gegensatz zu einer Geldleistung mehre sie damit etwa nicht das Vermögen des Arbeitnehmers, sondern gewähre nur zusätzliche arbeitsfreie Zeit.
Das BAG verwies die Sache deshalb an das LAG zurück. Dort sei nun zu klären, inwieweit die Forderung des Werkstattmeisters nach einer „Gutschrift“ von über 180 Stunden letztendlich begründet sei; das komme auf die Ausgestaltung seines Zeitkontos an. Auch solle genauer geprüft werden, ob tatsächlich eine betriebliche Übung einer 15-minütigen Frühstückspause bestanden habe – bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gelten dafür erschwerte Bedingungen.
Fazit
Die sehr lesenswerte Entscheidung zeigt einmal mehr, wie schwer es sein kann, durch betriebliche Übung entstandene vermögenswerte Ansprüche abzubauen. Sie nimmt gleichzeitig etwas Druck von Betriebsräten, die häufig vor die Wahl gestellt werden, im Rahmen von „Restrukturierungsmaßnahmen“ am Abbau solcher Ansprüche mitzuwirken. Im vorliegenden Fall jedenfalls hat das BAG mit einer einfachen, aber überzeugenden Begründung eine entsprechende Betriebsvereinbarung für unwirksam erklärt.
(BAG, Urteil vom 20.05.2025 – 1 AZR 120/24)