Strafrecht
Strafbarkeit der Parole From the river to the sea
Beschluss
In dem Strafverfahren gegen
Verteidiger:
Rechtsanwalt Timo Winter, Julius-EchterStraße 8, 97084 Würzburg, Gz.: 2400121
wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen u.a.
hat das Amtsgericht Tiergarten am 17. September 2024 beschlossen:
Der Erlass des Strafbefehls wird auf Kosten der Landeskasse Berlin. die auch die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten zu tragen hat, abgelehnt.
Gründe
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Die Staatsanwaltschaft Berlin legt der Angeschuldigten zur Last, in Berlin am 8.3.2024 im lnland ein Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 2 StGB bezeichneten Vereinigung öffentlich und in einer Versammlung venNendet zu haben.
Dem liege zugrunde, dass die Angeschuldigte an diesem Tag gegen 15.52 Uhr im Rahmen einer Versammlung anlässlich des internationalen Frauentages im Bereich Friedrichstraße / Taubenstraße in 10117 Berlin mittels eines Handlautsprechers und für eine Vielzahl von Menschen wahrnehmbar lautstark:
From the river to the sea
gerufen habe. Daraufhin fing auch die Menschenmenge an, die Parole zu skandieren.Ihr sei – spätestens durch die Verfügung des Bundesinnenministerium vom 02.11.2023 – bewusst gewesen, dass es sich bei dem Ausspruch
From the river to the sea
um eine Parole der in § 86 Abs. 2 i.V.m. Durchführungsverordnung 2021/138 des Rates der Europäischen Union Abs. 2 Nr. 9 genannten Organisation Hamas handelte, welche 2017 in der Charta derHamas
in Art. 20 (Charta 2017) aufgenommen wurde und als zentrale politische Parole der Terrororganisation genutzt wird.Aus diesem Grund beantragt die Staatsanwaltschaft Berlin den Erlass eines Strafbefehls wegen eines Vergehens nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 2 StGB.
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Der Erlass dieses Strafbefehls war mangels hinreichenden Tatverdachts aus rechtlichen Gründen abzulehnen.
Der angeklagte Sachverhalt erfüllt auch bei voller Beweisbarkeit nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 2 StGB.
Es handelt sich bei der Parole
From the river to the sea…
nicht ausschließlich um eine Parole der Hamas und für den Fall, dass hier eine (nicht beweisbare) Verwendung durch die Angeschuldigte gerade als Parole der Hamas vorläge, wäre diese Verwendung im konkreten Fall vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 GG, welches bei der Prüfung über § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB einzuießen hat, gedeckt.-
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From the river to the sea
ist als Parole grundsätzlich geeignet. ein verbotenes Kennzeichen im Sinne von § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu sein. Diese wäre bei Beweisbarkeit des angeklagten Sachverhalts auch im Rahmen einer Versammlung vewvendet (gerufen) worden. -
Fraglich ist hier bereits, ob es sich bei der Parole um ein Kennzeichen der Hamas und mithin um ein Kennzeichen einer Organisation i.S.v. § 86 Abs. 2 StGB handelt.
- aa)
Die Hamas ist von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft worden und untenällt mithin dem § 86 Abs. 2 StGB.
- bb)
Während in der
Hamas
-Charta von 1988 zwar allgemein der Anspruch auf das gesamte historische Gebiet Palästinas formuliert wird,lkommt dort die hier streitige Parole noch nicht vor. Dies ändert sich mit der Charta von 2017, wo es in Artikel 20 heißt:Hamas lehnt jede Alternative zu einer kompletten und vollständigen Befreiung von Palästina ab, vom Fluss zum Meer
. Ob dies genügt, die Aussage zu einem Kennzeichen der Hamas zu machen, wie es die Staatsanwaltschaft Berlin in ihrem Antrag formuliert. ist bereits fraglich.Die Parole wird auch nicht durch die Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 02.11.2023 zu einem Kennzeichen der
Hamas
. In dieser Verfügung wurde nicht nur die Vereinigung Hamas, sondern unter Ziffer 3 u.a. auch die Venrvendung der ParoleVom Fluss bis zum Meer (auf Deutsch oder anderen Sprachen)
öffentlich und in einer Versammlung verboten.Dabei ist bereits zweifelhaft, ob diese Verordnung nicht zumindest hinsichtlich der Parole
From the river to the sea
auf Grund der Anknüpfung an den Inhalt einer politisch unliebsamen Meinungsäußerung mit Art. 5 Abs. 1, insbesondere Satz 3, Abs. 2 GG unvereinbar ist und der staatlichen Neutralitätspfiicht nicht genügt, mithin teilnichtig ist (vgl. VG Frankfurt a. M. Beschluss vom 21.03.2024 – 5 L 940/24.F, veröffentlicht in BeckRS 2024, 5141. RN 24, mit weiteren Ausführungen). - cc)
Historisch ist die Parole
From the river to the sea
darüber hinaus nicht nur derHamas
, sondern schon länger gleich mehreren palästinensischen Organisationen als kennzeichnend zugeordnet (vgl. Hippeli, Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen – ParoleFrom the riverto the sea
, in NJW 2024, 1780, RN 3 in der Veröffentlichung bei Bock-online, m. w. N.).Demzufolge kann sich nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 86 Abs. 2 StGB nur strafbar machen, wer die Parole gerade als solche der
Hamas
verwendet. Dies ist im vorliegenden Fall weder aus dem angeklagten Sachverhalt hinsichtlich einer konkreten Handlung der Angeschuldigten ersichtlich, noch ergibt es sich aus dem Akteninhalt (Strafanzeige und Einsatzaufnahme). Ein konkreter Bezug der Demonstration. in deren Kontext die angeklagte Äußerung gefallen sein soll, zurHamas
ist nicht ersichtlich.Schließlich genügt es für diesen Äußerungszusammenhang auch nicht, dass die Staatsanwaltschaft die Kenntnis von der Parole als einem Kennzeichen der
Hamas
infolge der o. g. Verfügung d Bundesinnenministeriums in das Wissen der Angeschuldigten stellt.
- aa)
-
-
Doch selbst wenn vorliegend der Ausruf durch den Angeschuldigten als Verwendung gerade eines Kennzeichens der
Hamas
stattgefunden haben sollte, scheitert hier die Strafbarkeit an der Tragweite des mitabzuwägenden Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.Dass Art. 5 GG bereits auf tatbestandlicher Ebene bei § 86a StGB abzuwägen ist, ergibt sich im Rückschluss aus § 86a Abs. 3 StGB i. V. m. § 86 Abs. 4 StGB (vgl. hierzu ausführlich LG Mannheim, Beschluss vom 29.05.2024 – 5 Qs 42/23, veröffentlicht in BeckRS 2024, 12543, RN 13 m. w. N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – eine Parole und mithin eine mündliche Äußerung betroffen ist (LG Mannheim, aaO, RN 15).
Demzufolge ist hier der Aussagegehalt der angeklagten Äußerung ebenso sorgfältig zu ermitteln wie die in Rede stehenden Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen sind.
Bei der Parole handelt es sich, wie bei jeder anderen Propaganda-Parole, um eine auslegungsbedürftige und auslegungsfähige kommunikative Äußerung (vgl. Fischer in LTO,
Ist Jubel über Terror strafbar?
vom 16.10.2023). Die Auslegung ergibt hier schon aus dem Kontext der Demonstration heraus die Aussage, dass Palästina vom Fluss bis zum Meer, mithin vom Jordan bis zum Mittelmeer, gehen soll. Dies bedeutet – auch ohne genauere Konkretisierung hinsichtlich eines Staates, eines Staatsgebietes, eines Staatsvolkes usw. –, dass es um einen in irgend einer Form unabhängigen Staat Palästina mit einem wie in der Parole dargelegten Staatsgebiet gehen soll, der (Stand heute) von 48 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen nicht als solcher anerkannt wird. Daraus folgt wegen der geforderten geografischen Ausdehnung die weitere Auslegung, dass es unter diesen Voraussetzungen sehr voraussichtlich dann keinen Staat Israel mehr geben kann. Das Existenzrecht des Staates Israel wird damit – aller Wahrscheinlichkeit nach – verneint.Ob der Inhalt einer Meinung aus allgemeiner Sicht unerwünscht, möglichenNeise sogar sachlich falsch oder sogar abwegig ist, ist allerdings im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt, so dass hier nur noch abzuwägen ist, ob diese (noch) sozialadäquat verwendet wird und somit höher einzuschätzen ist als das absolute Verbot von § 86a StGB.
Ebenfalls aus dem Kontext des hiesigen Sachverhalts ist zu entnehmen, dass die Äußerung im Rahmen einer Demonstration zum internationalen Frauentag am 8.3.2024 stattfand, also erst rund ein halbes Jahr nach dem Terroranschlag der Hamas gegen Israel und zu einem Zeitpunkt als es bereits zu Fluchtbewegungen von rund 1,5 Millionen Menschen, Plünderungen und einer schwierigen humanitären Lage im Gazastreifen gekommen war.
Aus dem angeklagten und nach Akteninhalt ermittelbaren Sachverhalt ist nichts anderes zu entnehmen, als dass in diesem Zusammenhang im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung (auch)auf die Situation der in Gaza lebenden Menschen hingewiesen. Es handelte sich nicht (eindeutig) um die Verwendung der Parole zur Unterstützung der Terrororganisation Hamas, sondern vielleicht auch um eine schlichte Bekundung des Mitgefühls für die zivilen Opfer und einen Aufruf den langjährigen Konflikt für das Gebiet zu lösen.
Es kommt, wie oben dargestellt, nicht auf irgend eine Bewertung dieser Meinung an. sondern allein darauf, dass die Angeschuldigte im Rahmen dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung auf seine Meinung hinweisen will. Der sogenannte NahoStkonflikt um die Region Palästina exis tiert nicht erstseit dem Angriff der
Hamas
auf Israel am 07.10.2023, hat aber seitdem und durch den in der Folge begonnenen Gaza-Krieg noch mehr an Aufmerksamkeit in der gesamten Welt gewonnen. Es ist sozialadäquat, im Rahmen einer öffentlichen Kundgebung in diesem Kontext die Situation der bis heute fehlenden Autonmie Palästinas zumGegenstand der öffentlichen Meinungsbildung zu machen.Im Rahmen der vorzunehmenden Aung der hier widerstreitenden Güter hat das Recht aus Art. 5 GG Vorrang.
-
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Auch eine Strafbarkeit gemäß § 140 Abs. 2 StGB (kein zeitlicher Zusammenhang zum Überfall des Hamas vom 07.10.2024 undder dort begangenen schweren und rechtswidrigen einschlägigen Straftaten) oder § 130 StGB liegt nicht vor.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 467 Abs. 1 StGB.
AG Tiergarten, Beschl. v. 17.09.2024 – 235 Cs 1071/24
Beschluss
In dem Strafverfahren gegen
Verteidiger:
Rechtsanwalt Timo Winter, Julius-EchterStraße 8, 97084 Würzburg, Gz.: 2400121
hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin
hat das Landgericht Berlin I 4. große Strafkammer – am 23. April 2025 beschlossen:
- Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 17.09.2024 wird als unbegründet verworfen.
- Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten zu tragen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach und Rechtslage.
Die Frage, ob der Ausspruch From the river to the sea
ein Kennzeichen der Hamas i.S.d. § 86a StGB ist, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. dagegen ausführlich etwa LG Mannheim, Beschluss vom 29.05.2024 – 5 Qs 42/23, BeckRS 2024, 12543ff.; dafür ausführlich etwa LG Berlin I, Urteil vom 08.11.2024 – 502 Kls 21/24, BeckRS 2024, 30717, jeweils m.w.N.).
Die Kammer erachtet dies, wie auch das Amtsgericht in seinem angefochtenen Beschluss, angesichts dessen, dass der Ausspruch beständiger Teil einer internationalen und heterogenen Protestbewegung gegen das Handeln der israelischen Streitkräfte und Regierung in Gaza ist, für zweifelhaft. Denn mit Blick auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG kann nicht jede VenNendung des Ausspruchs durch eine verbotene politische Organisation dazu führen, dass der Ausspruch zu ihrem charakteristischen Identifikationsobjekt wird i.S.e. Kennzeichens nach § 86a StGB (vgl. Brockhaus, Mehrdeutige Wortfolge, pauschale Kriminalisierung, VerfBlog, 2025/2/07).
Diese Frage kann jedoch ebenso offen bleiben wie diejenige, ob Art. 5 Abs. 1 GG eine einschränkende Auslegung des weiteren Tatbestands des § 86a StGB dergestalt erfordert, dass im Fall der Mehrdeutigkeit des objektiven Sinngehalts einer Äußerung nur dann von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden darf, wenn andere, straflose Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. so etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 09.08.2024 – 10 CS 24.1382 –, Rn. 18, juris).
Denn aus Sicht der Kammer ist selbst unter Zugrundelegung der bisher vom BGH entwickelten engeren Maßstäbe zur Tatbestandsmäßigkeit von § 86a StGB bei mehrdeutigen Äußerungen im Lichte von Art. 5 Abs. 1 GG keine Strafbarkeit gegeben. Hiernach habe eine Restriktion des Tatbestands in der Weise zu erfolgen, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen, was unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Tat zu bestimmen sei (vgl. BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08, NStZ 2009, 89 f.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Angeschuldigte äußerte die Wortfolge auf einer Demonstration zum Weltfrauentag für die Rechte und Gleichberechtigung von Frauen. Die Ziele der Hamas, welche einen islamistischen Staat errichten will, in dem Frauenrechte erheblich eingeschränkt werden (vgl. etwa Art. 17 f. der Charta der Hamas von 2017), stehen hierzu in einem diametralen Widerspruch. Aus den Gesamtumständen des Einzelfalls war die Äußerung für einen objektiven Betrachter daher erkennbar nicht als Kennzeichen der Hamas, sondern als Solidarisierung mit den Palästinensern im aktuellen Gaza-Krieg gemeint. Die Angeschuldigte trug auch keine anderen auf die Hamas deutenden Symbole oder tätigte derartige Aussagen. Dass eine Hauptverhandlung weitere Aufklärung zu den Umständen der Äußerung erbringen würde, die zu einer anderen Wertung führen würde, ist nicht erkennbar.
Schließlich wäre der Angeschuldigten auch kein Vorsatz hinsichtlich des Umstandes, dass es sich bei der Parole um ein Kennzeichen der Hamas handelt, nachweisbar. Der Ausspruch wird, wie ausgeführt, durchgehend und international von verschiedensten politischen Akteuren venNendet, um Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza zu äußern. Er wird daher aus Sicht der Kammer in der Bevölkerung nur ausnahmsweise als Kennzeichen der Hamas angesehen. Dafür, dass die bisher unbestrafte Angeschuldigte die dahingehende Bekanntmachung des Bundesinnenministeriums kannte, sind keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Allein der Umstand, dass Sie offenbar politisch interessiert und aktiv ist, reicht dafür nicht aus. Auch hier verspricht eine Hauptverhandlung keine weitere Aufklärung.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
LG Berlin I, Beschl. v. 23.04.2025 – 504 Qs 75/25