Arbeitsrecht

Beginn des Kündigungsschutzes von Schwangeren

Das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG beginnt 280 Tage vor dem vo-raussichtlichen Entbindungstermin.
(Leitsatz des BAG)

Was ist passiert?

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Klägerin trat mit Datum vom 15.10.2020 in die Dienste der beklagten Arbeitgeberin. Mit Schreiben vom 06.11.2020, welches der Klägerin am 07.11.2020 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich. Die mit Schreiben vom 12.11.2020 erhobene Klage begrün-dete die Klägerin unter anderem mit dem Bestreiten der ordnungsgemäßen Anhörung des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrates. Erst mit Schreiben vom 02.12.2020 ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mitteilen, dass sie bereits in der sechsten Woche schwanger sei. Dieses Schreiben ging der Beklagten erst am 07.12.2020 zu – diesem war eine Abschrift der Schwangerschaftsbestätigung der Frauenärztin der Klägerin vom 26.11.2020 beigefügt. Im Verlauf des Prozesses legte die Klägerin eine Schwangerschaftsbescheinigung vor, aus welcher sich als voraussichtlicher Geburtstermin der 05.08.2021 ergab.

Die Klägerin hält die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot von Schwangeren gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG für unwirksam, weil sie bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 07.11.2020 schwanger gewesen sei. Die Meldung der Schwangerschaft habe sie unverzüglich nach deren Kenntnis am 26.11.2020 veranlasst.

Die Beklagte bestritt bis zuletzt das Vorliegen einer Schwangerschaft der Klägerin zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Jedenfalls argumentierte sie, dass die Meldung der Schwangerschaft durch die Klägerin an die Beklagte verspätet gewesen sei oder sich zumindest die verspätete Übermittlung der Schwangerschaftsbestätigung durch ihren Prozessbevollmächtigten habe zurechnen lassen.

Sowohl das ArbG und das LAG haben die Klage abgewiesen.

Wie hat das BAG entschieden?

Es hat auf die Revision der Arbeitnehmerin das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Das Landesarbeitsgericht kam zu der Frage der – möglicherweise – verspäteten Übermittlung der Meldung der Schwangerschaft überhaupt nicht: Das LAG hatte das Vorliegen einer Schwangerschaft mit dem Argument verneint, dass von dem bekannt gegebenen Entbindungstermin entgegen der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht von der äußersten zeitlichen Grenze der Schwangerschaft auszugehen sei (280 Tage), sondern nur von der durchschnittlichen Dauer einer Schwangerschaft und somit nur von 266 Tagen. Das BAG hält jedoch seine Rechtsprechung ausdrücklich aufrecht und begründet dies damit, dass die äußerste Grenze der Schwangerschaft entscheidend ist, damit keine Schwangere während Ihrer Schwangerschaft gekündigt werden kann. Es ist eine bewusst pauschalierte Auslegung, bei der in Kauf genommen wird, dass auch in Wirklichkeit nicht Schwangere in den Genuss des Kündigungsschutzes zu kommen, damit sichergestellt ist, dass auf keinen Fall einer Schwangeren gekündigt wird. Es folgen weitere Ausführungen des BAG dazu, dass diese Auslegung in Einklang mit EU-Recht stehe. Somit verstößt die Kündigung grundsätzlich gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG.

Allerdings muss dem Arbeitgeber grundsätzlich zwei Wochen nach Zugang der Kündigung die Schwangerschaft mitgeteilt werden. Diese Frist war hier überschritten. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 MuSchG ist das Überschreiten der Frist allerdings unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachholt. Die Beklagte hatte bestritten, dass die Klägerin erst zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt hatte, das LAG hat hierzu keine Beweisaufnahme durchgeführt. Das hat das BAG gerügt und rechtlich dem LAG schon mal auf dem Weg gegeben, dass der Zugang am 07.12.2020 nicht verspätet gewesen ist, wenn die Klägerin am 26.11.2020 von der Schwangerschaft erfahren hat. Interessant ist hier, dass das BAG ausführt, dass ein etwaiges Verschulden eines Boten oder eines anderweitig beauftragen Bevollmächtigten (z.B. Rechtsanwalt) der Schwangeren nicht zugerechnet wird. Dies begründet das Gericht damit, dass die Schwangere nicht aus formalen Gründen ihren Kündigungsschutz verlieren soll, wenn Dritte die Frist versäumen. Das BAG hat hier entschieden, dass eine Frist von sechs Tagen bis zur Weitergabe der Mitteilung an Ihren Rechtsanwalt – dieser hat am 02.12.2020 durch die Klägerin von deren Schwangerschaft erfahren – noch unverzüglich gewesen wäre.

Fazit

Die Entscheidung des BAG ist eine konsequente Fortführung der bisherigen Rechtsprechung, denn wirklich bisher nicht Entschiedenes hatte das BAG nicht behandelt. Es bleibt aber bei der pauschalen Betrachtung von 280 Tagen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin und dem Nichtzurechnen des Verschuldens Dritter bei der Übermittlung der Schwangerschaftsmitteilung. Und das BAG stellt auch klar, dass die Schwangere den Kündigungsschutz auch in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG genießt sowie in der Probezeit.

(BAG, Urteil vom 24.11.2022 – 2 AZR 11/22)