Arbeitsrecht

Annahmeverzugslohn bei Ablehnung einer Prozessbeschäftigung

Lehnt der Arbeitnehmer es ab, für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses bei seinem bisherigen Arbeitgeber weiterzuarbeiten, indiziert dies alleine nicht fehlenden Leistungswillen im Sinne des § 297 BGB. Die möglichen Rechtsfolgen der Ablehnung einer Prozessbeschäftigung richten sich ausschließlich nach § 11 Nr. 2 KSchG.

Was ist passiert?

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Der Kläger war seit dem 16.08.2018 bei der Beklagten, einem Kleinbetrieb im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG, als „Chief Technology Officer“ beschäftigt und hat 5.250 € brutto monatlich verdient. Mit Schreiben vom 02.12.2019 sprach die Beklagte eine fristlose Änderungskündigung aus, mit der sie dem Kläger eine Tätigkeit als Softwareentwickler gegen eine auf 3.750 € brutto monatlich verminderte Vergütung anbot. Im Kündigungsschreiben heißt es:

„Im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt.“

Der Kläger erschien nicht zur Arbeit und lehnte das Änderungsangebot mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 05.12.2019 ab. Der Geschäftsführer begründete die Kündigung unter anderem damit, dass es der Kläger die „Wohlfühlatmosphäre“ im Unternehmen gefährde und potenziell zu zerstören suche. Eine Weiterbeschäftigung sei der Beklagten unzumutbar. Dass sie nur eine Änderungskündigung ausgesprochen habe und keine Beendigungskündigung, rühre nicht daher, dass „das Arbeitsverhältnis nicht etwa genügend unerträglich für eine außerordentliche Beendigungskündigung sei“, sondern der Kläger stehe „unter dem dringenden Verdacht, … den Gerichtsprozess (am liebsten pauschaliert als Abfindung oder bezahlte Freistellung) den Profit des monatelangen bezahlten Urlaubs zu erhalten.“

Weil der Kläger nicht weiterarbeitete, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit schreiben vom 14.12.2019 erneut, und zwar „außerordentlich zum 17.12.2019 um 12:00 Uhr MEZ“. Ferner wies sie darauf hin, „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte sie den Kläger „am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ“ zum Arbeitsantritt. In dem vom Kläger anhängig gemachten Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben.

Nachdem die Beklagte für Dezember 2019 nur noch eine Vergütung von 765,14 € brutto zahlte und der Kläger erst zum 01.04.2020 in einem neuen Arbeitsverhältnis stand, hat er – klageerweiternd im Kündigungsschutzprozess – Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs erhoben, mit der er Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes (20.234,86 € brutto abzüglich 7.891,65 € netto erhaltendem Arbeitslosengeld) begehrte.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.

Wie hat das BAG entschieden?

Das BAG hob das Urteil auf und entschied zu Gunsten des Mitarbeiters.

Die Vorinstanzen sahen keinen hinreichenden Leistungswillen beim Kläger und wiesen daher die Klage ab. Dem trat das BAG entgegen. Das BAG führte aus, dass es zwar grundsätzlich zutreffe, dass der Arbeitgeber unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen nicht in Annahmeverzug gerät, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken. Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers sind vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen.

Weil er bei der Berufung auf die Leistungsunfähigkeit oder die Leistungsunwilligkeit eine Einwendung erhebt, trägt der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer im Streitzeitraum zur Leistung objektiv außerstande oder subjektiv nicht bereit war. Der Arbeitgeber hat hierfür zunächst Indizien vorzutragen, die auf die Leistungsunfähigkeit oder Leistungsunwilligkeit des Arbeitnehmers deuten können.

Allerdings kann ein fehlender Leistungswille nicht stets angezeigt sein, wenn der Arbeitnehmer sich weigert, bei dem kündigenden Arbeitgeber nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. dem Zugang einer fristlosen Kündigung weiterzuarbeiten. Vielmehr ist ein entsprechender Rückschluss nur zulässig, wenn der Arbeitnehmer ein Angebot des Arbeitgebers ablehnt, das trotz Aufrechterhaltung der Kündigung auf eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen gerichtet und dessen Annahme auch sonst zumutbar ist.

Das BAG ist der Ansicht, dass die Beklagte dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitet hat. So wie es auf Seiten des Arbeitnehmers eines Leistungswillen bedarf, so muss der Arbeitgeber einen Beschäftigungswillen haben. Ein Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB verhaltensbedingt fristlos kündigt, weil ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht länger zumutbar erscheint, kann in der Regel – ohne durch arbeitsgerichtliches Urteil dazu gezwungen zu sein – nicht ernsthaft den weiteren Vollzug des Arbeitsverhältnisses wollen mit dem Risiko, damit die behauptete Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung selbst zu widerlegen. Hier diente das „Angebot“ einer Prozessbeschäftigung offenbar allein dem mehrfach durch die Beklagte bekundetem Bestreben, die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung zu vermeiden.

Die Weigerung des Arbeitnehmers, während des Kündigungsschutzprozesses bei der Beklagten weiterzuarbeiten, führt nicht zur Anrechnung nach § 11 Nr. 2 KSchG als böswillig unterlassenen Zwischenverdienst. Ein Zwischenverdienst ist böswillig unterlassen, wenn dem Arbeitnehmer ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt. Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen Bedingungen an, hängt die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer in erster Linie von der Art der Kündigung und ihrer Begründung sowie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess ab. Handelt es sich um eine personen- oder betriebsbedingte Kündigung, ist dem Arbeitnehmer die vorläufige Weiterbeschäftigung in der Regel zumutbar. Wird die Kündigung auf verhaltensbedingten Gründen gestützt, spricht dieser Umstand eher für die Unzumutbarkeit der vorläufigen Beschäftigung.

Da sich der Arbeitnehmer hier auch ordnungsgemäß arbeitslos gemeldet hatte, gab das BAG der Klage statt.

Fazit

Die Entscheidung ist richtig und in der Frage des Annahmeverzugs im Kündigungsschutzprozess gibt es etwas Licht am Ende des Tunnels. Aufgrund der guten Arbeitsmarktlage und der Pflicht zur Arbeitslosmeldung ist das Risiko der Zahlung eines hohen Annahmeverzugslohnes, dessen Vermeidung die Hauptmotivation des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess ist, für den Arbeitgeber zuletzt gesunken. Dieses Urteil gibt den Belangen der Arbeitnehmer nun wieder etwas mehr Bedeutung.

(BAG, Urteil vom 29.03.2023 – 5 AZR 255/22)