Arbeitsrecht

Weihnachtsgeld und betriebliche Übung

  1. Durch betriebliche Übung begründete Vertragsbedingungen stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB dar, deren Auslegung durch das Berufungsgericht der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt.
  2. Lässt die Auslegung einer durch betriebliche Übung begründeten Vertragsbedingung – hier die Zahlung eines Weihnachtsgelds – unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände mehrere Ergebnisse zu, ohne dass ein Auslegungsergebnis den klaren Vorzug verdient, besteht ein nicht behebbarer Zweifel i.S.v. § 305 c II BGB. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall die ihm ungünstigste und für den Arbeitnehmer als Vertragspartner günstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen. Das ist diejenige, die der Klage zum Erfolg verhilft.
  3. Die Bezeichnung einer Leistung als „Weihnachtsgeld“ lässt neben einer möglichen Auslegung als arbeitsleistungsbezogene Sonderzuwendung auch die Deutung zu, dass der Arbeitgeber sich mit der Zahlung anlassbezogen an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen der Arbeitnehmer beteiligen will. Im letzteren Fall hängt die Leistung regelmäßig nicht von der Erbringung einer bestimmten Arbeitsleistung ab.
  4. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, eine Sonderzahlung, welche nicht ausschließlich der Vergütung erbrachter Arbeitsleistung dient, aufgrund fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums einseitig zu kürzen. Vielmehr setzt eine Kürzung das Vorliegen einer individualrechtlichen oder kollektivrechtlichen Vereinbarung i.S.v. § 4 a EFZG voraus. (Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)

Was ist passiert?

Die Parteien streiten über die Zahlung von Weihnachtsgeld für die Jahre 2018 bis 2020. Der Kläger war seit 2003 bei der Beklagten beschäftigt und seit Dezember  2017 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt. Mit dem Entgelt für November erhielt der Kläger seit Beginn des Arbeitsverhältnisses ein Weihnachtsgeld, das 2010 400 EUR brutto und in den Jahren 2011 bis 2017 1.500 EUR brutto betrug. In den Abrechnungen war die Leistung als „freiw. Weihnachtsgeld“ bezeichnet. In den Jahren 2018 bis 2020 erhielt der Kläger keine Zahlungen. Das ArbG hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 2.850 EUR brutto nebst Zinsen verurteilt. Das LAG hat die Klage auf die Berufung der Beklagten das Urteil des ArbG abgewiesen und die Klage vollständig abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Wie hat das BAG entschieden?

Die Revision des Klägers hatte im Wesentlichen Erfolg. Der Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes folge aus betrieblicher Übung. Die über mehrere Jahre geleistete Zahlung durften die Arbeitnehmer unter Beachtung von Treu und Glauben so auffassen, dass sich die Beklagte verpflichten wollte, ihnen jährlich ein Weihnachtsgeld zu gewähren. Der Hinweis auf die Freiwilligkeit durch den Zusatz „freiw.“ stehe dem nicht entgegen. Durch die Bezeichnung einer Zahlung als freiwillige Leistung werde nur zum Ausdruck gebracht, dass ein Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet sei. Die Zahlung des Weihnachtsgeldes setze nicht die Erbringung der Arbeitsleistung im betreffenden Kalenderjahr voraus. Die durch die betriebliche Übung entstandenen Vertragsbedingungen ließen sowohl die Auslegung zu, dass es sich bei dem Weihnachtsgeld um eine rein arbeitsleistungsbezogene Sondervergütung handele, als auch die Auslegung, dass die Beklagte mit der Zuwendung zumindest auch andere Zwecke verfolgen wollte. Bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen gingen Auslegungszweifel zulasten des Verwenders (§ 305 c II BGB). Somit sei das Verständnis des Weihnachtsgelds als Sondervergütung zugrunde zu legen, deren Entstehung nicht ausschließlich an die Arbeitsleistung anknüpfe. Die Arbeitgeberin sei auch nicht berechtigt gewesen, die Zahlung des Weihnachtsgeldes aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu kürzen, da es sich nicht um eine rein arbeitsleistungsbezogene Sondervergütung gehandelt habe und keine Kürzungsvereinbarung i.S.v. § EFZG § 4 a EFZG getroffen worden sei.

Fazit

Auch wenn die Entscheidung im Ergebnis nicht überrascht, so ist sie doch durchaus interessant. Auch bei Ansprüchen aus betrieblicher Übung können einseitig festgelegte Vertragsbedingungen durch den Arbeitgeber als Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgelegt werden. Eine Prüfung lohnt daher in jedem Falle, auch bei längerer Arbeitsunfähigkeit.

(BAG, Urteil vom 25.1.2023 – 10 AZR 116/22)